Montag, 14. Mai 2012

Edith Stein in Sibirien

Eine Mitarbeiterin unseres Kulturzentrums, Lina, hatte die sehr gute Idee, eine zweitägige Konferenz zur Philosophie von Edith Stein zu organisieren. Natürlich war es gar nicht so leicht, Leute zu gewinnen, die dazu etwas zu sagen haben. Die Idee, aus Deutschland oder Österreich jemanden einzuladen, haben wir nach etwas Zögern verworfen, und stattdessen einheimische Professoren und Doktoranden zusammengerufen, die sich auf Phänomenologie verstehen. Das hat dann dazu geführt, dass wir einige hochspezialisierte Vorträge hatten, die immerhin etwa 15 Gäste angezogen haben (eine sehr hohe Teilnehmerzahl), aber auch einen Besuch in der Synagoge haben wir in diesem Rahmen organisiert.
Ein paar Schocks gab es zwar auch: Einer der Professoren hat wohl erst vor wenigen Tagen ein Flugticket aus Chanty-Manssijsk gekauft, was weit weg liegt und schwer zu erreichen ist (etwas teurer, als wir gedacht hatten, über 400 €), zwei Dozenten sind am Samstag abend nicht in dem Haus aufgetaucht, wo sie übernachten sollten, aber das gehört dazu ...
Insgesamt ist es uns gelungen, ein Wochenende zu organisieren, das insgesamt 60-70 Leuten, Katholiken wie Nichtkatholiken, von Jung bis Alt, Akademikern und Nichtakademikern, eine Begegnung mit der Philosophin und Heiligen, Jüdin und Christin Edith Stein sowie mit der Kultur und Religion des Judentums ermöglicht hat.

Mittwoch, 9. Mai 2012

9. Mai - "Tag des Sieges"

Am Abend des 9. Mai ging ich mit einem anderen Priester spazieren. Als wir zwei junge Katholikinnen trafen, riefen sie uns zu: "herzlichen Glückwunsch zum Feiertag!" Der andere Priester meinte, das sei Spott über mich, denn schließlich wird an diesem Tag ja der Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland 1945 gefeiert. Aber das habe ich nicht so empfunden, und zwar natürlich auch, weil die Niederlage Hitlers ernsthaft niemand bedauern kann, aber nicht nur deshalb. Denn zwar ertönt in der Stadt teilweise Militärmusik, es fand am Vormittag eine Militärparade statt mit Panzern und allem, was dazugehört. Aber die Stimmung insgesamt ist doch friedlich: Meistens singen auf Bühnen Kinder, Luftballons und Zuckerwatte werden verkauft, es ist wie bei einem Volksfest. Und das schönste: Die Hauptstraße, der "rote Prospekt", ist einmal für einen Tag lang (jedenfalls nach der Parade) in der Hand der Fußgänger. Aber damit nun Schluss für heute, denn gleich ist Abendgebet, und danach möchte ich mir noch das Feuerwerk anschauen.

Dienstag, 1. Mai 2012

Anton Tschechow

Da nun die Entscheidung gefallen ist, dass ich ab Herbst in Tomsk ein Aufbaustudium in russischer Literatur machen werde, habe ich bereits angefangen, mich insbesondere mit dem Autoren zu befassen, über den ich dann auch besonders arbeiten werde: Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) ist ja auch im deutschen Sprachraum recht bekannt für seine Theaterstücke, v. a. die "Möwe". Weniger bekannt sind seine Erzählungen, von denen aber manche wahre Goldstücke sind. Besonders hat er viele kurze Erzählungen über Beamte geschrieben, worin es ihm immer wieder um die innere Unfreiheit geht, um den Geltungsdrang und das Bedürfnis, sich gegenüber Vorgesetzten konform zu zeigen. Auch einige längere Erzählungen hat Tschechow geschrieben, so "Steppe": hier geht es darum, wie ein Schüler durch die Steppe in eine fremde Stadt reist, um dort aufs Gymnasium zu gehen, und wie dadurch ein neues Leben anfängt, oder "Duell": zwei Feinde kommen beim Duell gerade noch mit dem Leben davon und fangen ganz neu an, oder schließlich: "Krankenzimmer Nr. 6", eine Erzählung vom Umgang mit (vermeintlich) psychisch Kranken, von mangelnder Tatkraft und schließlich Rebellion. Tschechow stand zwar der Religion distanziert gegenüber, aber seine Texte haben doch, scheint mir, eine prophetische Dimension und Anklänge an Altes und Neues Testament. Aber am besten: einfach lesen ...